Ich bin sprachlos - also mache ich Kunst

Mehrjungfrau (Collage 2021)

 Ich bin mehr von der Sorte Paralleluniversum. Das heißt, ich sehe die Welt vielleicht anders, als sie im Fernsehen beschrieben wird. Ich bin in der Lage zu denken und Intelligentests bestehe ich im Allgemeinen ganz gut. Mein Hirn kann also einigermaßen logisch denken und ich hatte sogar ein Abitur von zwei Komma zwei. Ich habe auch mal ein paar Semester Theater- und Literaturwissenschaften studiert. 
Aber es ist mir unmöglich, mich detailliert über die Lage in der Welt zu informieren. Ich kann mich einfach nicht auf so viele Fakten konzentrieren. Glücklicherweise habe ich Freund/Innen, die das besser können und mir gelegentlich netterweise Zusammenhänge  erklären. Oder ich kriege hier und da mal etwas mit. Dann suche ich mir aus, was für mich wahrscheinlich erscheint.

Durch Reisen habe ich ein bisschen was von der Welt gesehen. In den letzten Jahren war ich mit VocColours in Japan, auf Sizilien, in der Ukraine und zweimal in Russland.

Mit VocColours auf dem Jazz Art Sengawa Festival in Tokio. V.l. Yoichiro Kita, Keiko Komori, Morgan Fisher, Ich, Norbert Zajac, Brigitte Küpper, Iouri Grankin, Koichi Makigami

Mit Lelio Gianetto (RIP) 2019 in Palermo

Auch davor hatte ich mehrfach die Gelegenheit, anderer Länder Luft zu atmen und einen Eindruck zu gewinnen. Oft hatte ich das Glück, dass Leute mir - beziehungsweise uns - ihre Heimat gezeigt haben. Einige Male habe ich mit einheimischen Kolleg/Innen Musik gemacht. Geredet, gelacht, gegessen, getrunken, getanzt, gesungen. Manchmal habe ich mich auch verliebt. Ich habe erfahren, was jede feststellen wird, die mit offenen Augen und offenem Herzen auf Reisen geht: es gibt überall tolle und liebe Menschen. Somit ist mir der Begriff des Feindbildes fern.

Proben in Kiew zum Free Fest 2018


Alexey Lapin, mit dem wir 2013 unsere CD "Zvuklang" bei einem Konzert in St.Petersburg aufgenommen haben.

Und deshalb bin ich sprachlos, wenn es um die  aktuelle Lage in Europa geht. Es herrscht Krieg. Verrückte sind unterwegs, die bereit sind, andere zu töten wegen Land und Ehre. Das verstehe ich nur insofern, weil ich weiß, dass es das gibt. 

In meinem kleinen Paralleluniversum versuchen wir uns gegenseitig zu helfen und gewaltfrei zu handeln.  Erfreuen uns aneinander, haben Spaß, leben in guter Nachbarschaft und lassen uns ansonsten in Ruhe. Fertig.

Ich kann und will nichts zu den schlimmen Zuständen in der Welt sagen, von denen es viele gibt und nicht erst seit dem 23.Februar. Ich halte mich raus. Höre einmal am Tag Nachrichten, lese und höre, was unterschiedliche Leute so sagen, weine manchmal und weiß doch, dass ich nichts tun kann, außer vielleicht mal Geld zu spenden. Gespendet habe ich und werde es wahrscheinlich wieder tun. Vielleicht dann in einen anderen Teil der Welt, der auch Unterstützung braucht… Ich habe wenig Hoffnung, dass der Mensch als Spezies sich zum Guten ändern wird. Nur Einzelne können das.
Graffiti aus Köln Nippes (anonym)

Ich möchte diese Blogschreibzeit lieber dafür verwenden, über meine Kunst zu sprechen. Diesmal meine ich die bildende Kunst. Für manchen ist es vielleicht überraschend, dass Gala Hummel bildende Kunst betreibt. Vor ein paar Jahren habe ich endlich angefangen, mir zu erlauben, das zu tun, von dem ich lange Zeit nur träumte. Seither mache ich Collagen, male, zeichne. Das Malen und Zeichnen besteht hauptsächlich aus Kritzeleien. Ich lasse mich einfach machen. Man könnte es auch abstrakte Kunst nennen. Ich erlaube meinem inneren Kind, einfach loszulegen und sage mir ab und zu: fein hast Du das gemacht! Die innere Kritikerin, Perfektionistin ignoriere ich weitestgehend.

Sylvester 2021 Acryl

Malen, Kritzeln, Collagen kleben ist eine gute Art, sich wortlos auszudrücken. Drücke ich meine Gefühle aus? Manchmal ja, manchmal weißnicht. Ich will mich ehrlich gesagt lieber nicht fragen, was der tiefere Sinn der Sache ist. Es ist lediglich das Tun, die Freude an der Farbe, am Material, an der Bewegung des Stiftes oder Pinsels oder der Finger oder anderer Gegenstände über das Papier. Das Geräusch, das sie verursachen. Das Tempo, der Rhythmus. Manchmal muss alles zugemalt werden, manchmal muss Platz gelassen werden für weiße Luft. 

Tagebucheintrag, Fasermaler

Dass ein künstlerisches Werk „Arbeit“ genannt wird, habe ich mit der Zeit auch verstehen dürfen. Denn selbst wenn es noch so absichtslos ausgeführt wird, so geschieht das doch oft in höchster Konzentration. Ich konzentriere mich bisweilen darauf, mich nicht zu konzentrieren, was auch eine Form der Konzentration ist. Loslassen in einer Welt, in der ständig ein Zweck erfüllt werden muss.

Irgendwann habe ich überrascht festgestellt, dass ich wohl auch ein bisschen zeichnerisches Talent besitze. Aber das Zeichnen strengt mich noch immer sehr an.

Akt. Kohle auf Papier 2018

Dann kritzle ich doch lieber. Oder klebe Collagen. Aus Freude an der Farbe, der Bewegung, des Entstehens von Überraschungen auf dem Papier. Kritzelnd und klebend träumen. Manche Leute, denen ich meine Kritzeleien zeige, fangen sofort an, mir zu erklären, was sie alles sehen. Figuren, Tiere, Pflanzen. Der menschliche Geist ist wohl immer auf der Suche nach Sinn und Zusammenhängen…

Streiten sich da zwei auf der Kritzelei? 

Ich habe das Glück in einem Land zu leben, das bisher noch nicht in großer Gefahr ist wegen des Krieges. Wir haben vielleicht Angst, Opfer einer atomaren Auseinandersetzung der Großmächte zu werden. Vielleicht steigen die Kosten für den Lebensunterhalt. Aber was können wir tun? Außer auf Demos zu gehen und uns solidarisch zu zeigen mit den Betroffenen des Krieges und helfen so gut es geht.

Wir müssen hier trotzdem weiterleben. Ich möchte nicht in Selbstmitleid und Depression und Angst versinken. Das bringt niemandem etwas, am wenigsten mir selbst.

Deshalb ist es mir wichtig, ein gutes Leben zu leben. Gerade, weil es morgen schon vorbei sein kann. Diese Lektion musste ich letztes Jahr bitterlich durchmachen. Als mein Bruder nach einem schönen, fröhlichen Arbeitstag auf dem Nachhauseweg mit dem Fahrrad von einem Motorrad erfasst wurde und nicht überlebte. Wie oft hatte ich im Leben schon gesagt: "Was weiß ich, ob ich morgen in einem Verkehrsunfall sterbe?" Und dann das. 

Brüderchen und ich als die Welt noch in Ordnung war

Also mache ich meine Kunst. Ich mache einfach weiter. Vielleicht mit noch mehr Intensität und noch mehr Vergnügen. Denn es gilt immer alles nur für heute. Und wenn ich heute Kunst gemacht habe, dann war es ein guter Tag. Ebenso wenn ich meine Freunde umarmt habe, ein nettes Wort und ein Lächeln mit Unbekannten tausche, Musik mache, schreibe, gut esse, den Sonnenuntergang bewundere und einen tiefen Atemzug nehme.

Zeichnung von heute

Ich möchte und darf das Licht sein, das mir auf der Welt fehlt. Auch möchte ich mein furchtsames inneres Kind beruhigen und liebhalten. Mehr kann ich nicht tun. Wenn wir Liebe und Kunst und Musik und gute Ideen ins Leben einladen und auf der Welt verbreiten, dann kann sie nur besser werden. Zumindest halten wir einen gewissen Status Quo der guten Mächte und sind bereit für die Zeiten, wenn das Unwetter wieder vorbei ist. Wir pflegen das Schöne, Gute, für das wir geboren sind. Und den Humor natürlich auch. 

Ende der Predigt. Am 7/8 Mai werde ich zum ersten Mal in meinem Leben an einer Kunstausstellung teilnehmen. Zusammen mit anderen aus meiner Malgruppe werden wir im Haus Barbara in der Ansgarstrasse in Köln im Rahmen der "Kunstroute Ehrenfeld" unsere Kunst ausstellen. Ich bin stolz wie Oschi, dass ich sowas noch erleben darf! Und tue alles dafür, dass es stattfinden wird. Malen, kritzeln, zeichnen, Collagen kleben. Bilder aussuchen. Es allen erzählen.

Das wollte ich sagen. Mir fehlen die Worte, also schreibe ich. ich bin sprachlos, also mache ich Kunst.

Blogg'n Roll!




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